Tumorerkrankungen der Wirbelsäule

Sehr geehrte Patientin, sehr geehrter Patient,
nachfolgend möchten wir Ihnen einige Informationen zum Krankheitsbild der Tumorerkrankungen und seiner Behandlung geben. Aufgrund des hohen Spezialisierungsgrades der Klinik für Wirbelsäulenchirurgie im Klinikum Bad Bramstedt, werden Patienten überregional in Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen sowie aus weiteren Bundesländern behandelt bzw. beraten. Dabei sind die sorgfältige Untersuchung und Befragung die zentralen Bestandteile, Patienten in unserer Sprechstunde individuell beraten zu können.

Definition

Tumoren an der Wirbelsäule umfassen gutartige (benigne) und bösartige (maligne) Neubildungen. Diese werden an Hand ihrer anatomischen Lage eingeteilt in die prozentual mit 90% sehr häufigen extraduralen Tumoren (d. h. Tumoren, die außerhalb der Rückenmarkshäute gelegen sind, z. B. Metastasen, primäre Knochentumoren und hämatologische Tumoren), die mit ca. 9% selteneren intraduralen aber extramedullären Tumoren (d. h. Tumoren, die innerhalb der Rückenmarkshäute, aber außerhalb des Rückenmarks liegen, z.B. Neurinom, Meningeom, Ependymom) und die sehr seltenen (1%) intramedullären Tumoren (d. h. Tumoren, die im Rückenmark selbst liegen, z. B. Ependymom, Astrozytom, Hämangioblastom). Die extraduralen Tumoren umfassen die selteneren primären Knochentumoren und die ca. 40-mal häufigeren Absiedlungen (Metastasen) von Tumoren anderer Organe.

Symptome

Abb. 1 Zerstörung des 8. und 9. Brustwirbels bei Tumorabsiedlungen der Wirbelsäule


Im Rahmen von Tumoren der Wirbelsäule treten in über 80% der Fälle Schmerzen im betroffenen Wirbelsäulenabschnitt auf. Annähernd die Hälfte der Patienten berichten von einer Schwäche der Extremitäten oder von Schmerzen im Bereich der Versorgungsgebiete eingeengter Nervenwurzeln (Radikulopathie) sowie Gangstörungen (Ataxie). Da die meisten Tumoren (66%) vor allem im vorderen Wirbelkörperbereich vorkommen und von hier auf das Rückenmark drücken, tritt nicht selten eine Schwäche der stammnahen Muskulatur zuerst auf. Im Rahmen von Wirbelkörperbrüchen (pathologischen Frakturen, siehe Abbildung 1) kann es auch zu einer schnell zunehmenden Querschnittsymptomatik mit, je nach betroffener Wirbelsäulenhöhe, Paraparese oder Tetraparese kommen, d. h. einer akuten Schwäche der Beine bzw. Arme und Beine samt Verlust der Kontrolle von Mastdarm und Blase.

Diagnose

Eine eingehende körperliche Untersuchung ermöglicht in vielen Fällen bereits eine Eingrenzung des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts. Die konventionelle Röntgendiagnostik (z. B. Röntgenaufnahmen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule) gehört nach wie vor zu den ersten Untersuchungen, da diese bereits ein Aufdecken von Instabilitäten (z. B. Verkrümmungen oder Wirbelgleiten) und Brüchen (Frakturen) ermöglicht. Als empfindlichste Methode zur Beurteilung der Tumoren und eventueller Differentialdiagnosen dient die Kernspintomographie (MRT) der Wirbelsäule. Blutuntersuchungen sind nur in Ausnahmefällen bei der Diagnostik hilfreich und dienen vor allem dazu, andere Erkrankungen auszuschließen bzw. in der Nachsorge eventuelle Rückfälle zu bemerken.

Differentialdiagnosen

Durch die unterschiedlichen klinischen Symptome, mit denen Wirbelsäulentumoren einhergehen, ist eine Vielzahl von Erkrankungen differentialdiagnostisch in Erwägung zu ziehen. Neben den häufigen degenerativen Erkrankungen können auch rheumatische Erkrankungen, Infektionen der Wirbelsäule, ja sogar Brüche oder generalisierte Knochenerkrankungen in Frage kommen. In der Bildgebung können vor allem Infektionen und Knochenerkrankungen wie z. B. der M. Paget einen Tumor „simulieren“. Schwierig ist die Differentialdiagnose bei Tumoren der Wirbelsäule vor allem, wenn es zu einem Wirbelbruch gekommen ist. Dieser kann im Zweifelsfall von Infektionen, traumatisch oder auch durch verschiedene Erkrankungen mit nachfolgender Knochenarmut (Osteopenie) verursacht sein. Weiterhin ist durch die bildgebende Diagnostik eine genaue Aussage über die Tumorherkunft und Gut- bzw. Bösartigkeit häufig nur eingeschränkt möglich. Daher ist im Zweifelsfall immer eine Probenentnahme aus dem Tumor notwendig, um die weitere Therapie festzulegen.

Ziel der Therapie

Abb. 2 Röntgenbild nach kompletter Entfernung der Wirbel und Stabilisation der Wirbelsäule


Ziel ist die Beseitigung des Tumors mit Entlastung der neurologischen Strukturen wie Rückenmark und Nervenwurzeln sowie die Wiederherstellung der Belastbarkeit und der normalen Anatomie der Wirbelsäule (siehe Abbildung 2).

Möglichkeiten der Therapie

Bei den häufigen extraduralen Tumoren ist zunächst zur näheren Diagnostik eine Gewinnung von Gewebe durch eine Nadelbiopsie in lokaler Betäubung oder Vollnarkose notwendig. Dieses dient der genauen Typisierung des Tumors. Dies ist notwendig, da Tumoren nicht alle gleich behandelt werden. Während gutartige (benigne) Tumoren der hinteren Wirbelsäulenanteile zum Teil nur operativ entfernt werden müssen (z. B. Osteoblastom), ist bei Metastasen mit Befall mehrerer Wirbelkörper häufig eine anschließende Strahlentherapie oder Chemotherapie notwendig. Die selteneren primären Knochentumoren wie das Osteosarkom sollten vor der operativen Entfernung bereits mit einem speziellen Schema medikamentös therapiert werden. Gewisse Tumoren ohne Beeinträchtigung der Stabilität der Wirbelsäule oder Kompression des Rückenmarkes können auch nur medikamentös oder mittels Strahlentherapie behandelt werden (z. B. Lymphom). Im Falle von bösartigen Tumorerkrankungen (Krebserkrankungen) wird das genaue Vorgehen interdisziplinär mit den zuständigen Onkologen/Strahlentherapeuten nach den neuesten Erkenntnissen abgestimmt und somit der Behandlungserfolg optimal koordiniert. Ist eine Operation notwendig, wird diese nach modernsten Methoden, wenn möglich minimal-invasiv durchgeführt. So sind in den letzten Jahren schonende, muskulaturerhaltende („perkutane“) Eingriffe von hinten entwickelt worden, um bei tumorbedingten Instabilitäten eine schnelle Rehabilitation und Mobilisation des Patienten zu ermöglichen. Ist begleitend eine Entfernung des Wirbelkörpers und der Ersatz durch einen „Kunstwirbelkörper“ aus Titan notwendig, um die Stabilität der Wirbelsäule wieder herzustellen, sind auch hier die operativen Möglichkeiten durch die Brustkorbspiegelung („Thorakoskopie“) und Schlüsselloch-Zugängen am Bauch deutlich erweitert worden. Dies reduziert nicht nur die postoperativen Beschwerden, sondern ermöglicht auch eine schnellere Wiederaufnahme des täglichen Lebens. Begleitend ist häufig eine sog. Dekompression (Entlastung) neurologischer Strukturen (Rückenmark, Nervenwurzeln) notwendig, die unter einem Operationsmikroskop durchgeführt wird, um eine bestmögliche Schonung der empfindlichen Strukturen zu erreichen. Unsere Klinik verfügt über langjährige Erfahrung in der Behandlung von Tumoren der gesamten Wirbelsäule. Dabei werden alle operativen Zugänge verwendet (von hinten oder durch den Hals-, Brust- und Bauchraum). Wenn notwendig, werden diese Verfahren auch kombiniert angewendet. Am Tag nach der Operation kann der Patient aufstehen und mit Hilfe unserer Physiotherapeuten die ersten Schritte machen. So kommt der Patient schnell wieder auf die Beine und es werden sekundäre Probleme, wie z. B. Lungenentzündung oder Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit, vermieden.

Spontanverlauf

Selbst gutartige Tumoren der Wirbelsäule, die keine Metastasen (Tochterabsiedlungen) bilden, bedürfen meistens einer operativen Therapie, da ein lokales Wachstum früher oder später zu einer Kompression von Rückenmark oder Nervenwurzeln mit Gefühlsausfällen und Lähmungen führt. Die seltenen bösartigen Tumoren des Knochens (z. B. Osteosarkom) führen unbehandelt zu einer unkontrollierten Tumoraussaat und früher oder später zum Tode. Im häufigsten Fall handelt es sich im Erwachsenenalter jedoch um Tochterabsiedlungen (Metastasen) anderer Tumoren, wobei der Spontanverlauf der Metastasierung in die Wirbelsäule häufig von Schmerzen, Wirbelbrüchen und neurologischen Ausfällen (bis zur Querschnittlähmung) gekennzeichnet ist. Hier ist der Spontanverlauf von der Menge der Tochterabsiedlungen, der begleitenden Therapie (Strahlen- und/oder Chemotherapie) und der Herkunft des Ursprungstumors abhängig.

Prognose

Die Prognose gutartiger Tumoren ist im Regelfalle bei rechtzeitiger Diagnosestellung und zügiger operativer Entfernung gut, so dass der Patient geheilt werden kann. Bei bestimmten Tumoren (z. B. Chordom) ist jedoch die vollständige Entfernung schwierig und die Lokalrezidivrate hoch (Häufigkeit der Rückfälle an der gleichen Stelle). Im Rahmen von malignen Knochentumoren ist die Prognose im Wesentlichen von der Größe und Lokalisation des Tumors in der Wirbelsäule abhängig. Wenn eine vollständige Entfernung des Wirbelkörpers (sog. Spondylektomie) möglich ist, sind hier hohe Heilungsraten zu erreichen. Im Rahmen der häufigen Absiedlungen von Tumoren des Brust-, Prostata-, Lungen- und Nierengewebes hängt die Prognose vom Ausmaß der Tumoraussaat bei Diagnosestellung und der Herkunft des Primärtumors ab. Hier besteht die Aufgabe der Wirbelsäulenchirurgie vor allem in der Erhaltung der Lebensqualität durch Wiederherstellung der Stabilität der Wirbelsäule und somit Belastbarkeit der Patienten, der Reduktion der Schmerzen und der Entlastung neurologischer Strukturen, um eine Querschnittsymptomatik zu verhindern oder zu beseitigen.